Eine Situation oder Begebenheit ist nur dann eine Chance, wenn eine Person die Voraussetzungen mitbringt, diese auch zu nutzen. Ein Beispiel: Auch mit bestem körperlichen und mentalen Training (Ausbildung) haben nicht alle die Möglichkeit, Tennis Champion zu werden. Viele scheitern schon deshalb, weil ihre finanziellen Möglichkeiten für eine Mitgliedschaft in einem Club mit regelmässigem Training fehlen; sie sind diesbezüglich eben chancenlos.
Auch wenn Liberale Chancengleichheit als „gleiche Rahmenbedingung“ und Sozialisten als „Gleichheit im Ergebnis“ verstehen, existiert diese nicht. Trotzdem versprechen (Bildungs-)Politiker Chancengleichheit in der Bildung. Ein Versprechen, das nicht Auszubildende fördert, sondern (vielleicht) eher die Wahl oder Wiederwahl ermöglicht.
Die Benachteiligung von Kindern beginnt, wie man weiss, schon mit der Geburt oder noch früher. Wenn die Mutter von Ungeborenen häufig Musik hört, entwickeln Neugeborene schon früh ein Rhythmusgefühl. Wenn kleinen Kindern regelmässig vorgelesen wird, bilden sie ein differnzierteres Sprachvermögen. Wenn ein Kind viele Möglichkeiten hat, die Welt im Spiel zu entdecken, entwickelt es Neugier und Ehrgeiz, was sich bekanntlich positiv darauf auswirkt, Begebenheiten als Chancen wahrzunehmen. Wenn Kindern die Möglichkeit geboten wird, sich mit Algorithmen auseinanderzusetzen, beispielsweise mit kindergerechten Programmiersprachen, hat es bessere Voraussetzungen, sich in einer technischen Welt zurecht zu finden.
Wer aus einem bildungsfernen Milieu kommt - meistens kombiniert mit finanziell unvermögend -, oder aus anderen Gründen lernbe- oder verhindert ist, kann in schweizerischen Schulstuben oder Lernateliers, wie sie immer öfter heissen, nicht auf Chancengleichheit hoffen. Der Bildungserfolg, auch gemessen in Kompetenzen, ist stark von der sozialen Herkunft abhängig.
Wir sollten uns von der Idee einer Chancengleichheit verabschieden und uns eher die Frage stellen, welche Bildung für welche Menschen möglich und sinnvoll ist. Mit unseren Lehrplänen – auch der Lehrplan 21 zählt dazu – schaffen wir das mit Sicherheit nicht. Lehrpläne, die verlangen, dass (fast) alle nach einem bestimmten Schuljahr oder einer Schulstufe – neu Schulzyklus genannt – die selben Kompetenzen erreichen sollen, konstruiert Schulen, die auf dem unmöglichen Modell der Chancengleichheit basieren.
Das viele Geld, das wir investierten und immer noch investieren in die Entwicklung und Einführung eines „Lehrplan 21“ hätten wir für die Entwicklung Konzepten, Lehrplänen, Unterrichtmaterial und Lehrfortbildung verwenden sollen, die eine auf Realismus gründende Bildung und Förderung von Kleinkindern, Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ermöglicht. Eine Bildung die es jedem und jeder ermöglicht, ihre eigenen Möglichkeiten und Chancen zu erkennen und zu nutzen, die auf den gegebenen, individuellen, real existierenden Voraussetzungen und nicht auf Annahmen basieren.
Wer weiss, vielleicht lassen sich bald einmal mit diesem Ansatz Wahlen und Abstimmungen gewinnen!